Ich stehe an der Haltestelle und friere. Sechs Minuten, bis die Straßenbahn kommt. Ich beobachte den Platz. Straßenbahnen kommen von allen Seiten und fahren in die andere wieder davon.
Leute laufen hin und andere laufen von dort dem nächsten Bus nach. Andere schlendern herum und wissen nichts mit ihrer Zeit anzufangen, wenn sie warten müssen. So wie ich. Wieviele wertvolle Minuten seines Lebens man auf ein Verkehrsmittel wartet. Wohl mehr, als das ganze Leben. Fünf Minuten.
Zwei alte Freunde treffen sich bei der Haltestelle gegenüber wieder. Die eine alte Frau jammert über ihre Bandscheiben. Die andere, dass sie so alleine ist und ihre Kinder sie nicht besuchen kommen. Vier Minuten. Ich versuche mich in sie hineinzuversetzen und mich fröstelt es. Es ist traurig. Für sie ist das Warten auf die Straßenbahn, wo sie ihre alte Freundin wiedertreffen kann ein kleiner Lichtblick in ihrem einsamen Alltag. Drei Minuten.
Plötzlich fühle ich mich in diesem menschenerfüllten Platz auch alleine. So viele Gesichter, die mir unbekannt sind, triste Blicke, zornige Gemüter. Grauer Asphalt. Seelenlose Architektur. Ein Kommen und Gehen. Kein Weilen. Der Platz erfüllt nur seinen Zweck. Zwei Minuten.
Man muss schon gut suchen, um kleine wärmende Augenblicke hier zu erleben, wie das Gesicht der alten Frau, das sich erhellte, als sie ihre Freundin sah. Oder das Gespräch zwischen einem kleinen Kind und einem alten Mann. Oder den Maroniverkäufer, der lautstark pfeift und singt und jede Frau mit „Frau Hofrat“ grüßt. Eine Minute.
Diese ungekürten Helden meines Alltags vertreiben mir das Trübsal über die Täglichen, die farblosen Menschen, die mit finsterer Miene an mir vorüber spazieren.
Null Minuten. Dann kann ich mit einem Lächeln den Tag beginnen und der Platz, an dem ich täglich meine Zeit abwarte, wird für einen Augenblick doch lebendig.