Oh meine zartbittere Berta! Es war Liebe auf den ersten Besuch. Man könnte auch kitschig „Liebe auf den ersten Blick“ sagen, was mir bei Männern nie gelungen ist. Du hast mich in Deinen Bann gezogen, warst meine erste große Liebe.
Du hast mich von Anfang an genommen wie ich bin. Ich kann mit pinken Highheels, roten Strümpfen, schillerndem Röckchen, Pferdemaske und Plüschhut bei Dir antanzen, am besten noch alles in dieser Kombination, Du wirst nicht blöd zurück glotzen. Du hast zwar ein großes Maul und es kommt schon mal vor, dass Dir der eine oder andere Kommentar auskommt, aber Deine vorlaute Art hat einen irrsinnigen Charme, wenn er auch kratzig und rau ist, er ist authentisch.
Du hast mir immer meine Freiheiten gelassen, ich habe hier Platz in jeder Hinsicht. Ich kann mich ausbreiten und entfalten. Die Häuserreihen stehen nicht dicht an dicht, die Plätze sind weit und überall hast Du mir noch viel Grün zum Austoben gelassen.
Es ist Dir egal, wie ich heute drauf bin, wer ich heute bin, wie Scheiße ich heute aussehe,ich kann mich einfach verstecken, in Deinen Massen untergehen und Du zeigst mir immer wen, der heute mindestens so Scheiße aussieht.
Du legst für mich ein Gedicht raus, einfach an den Ampelmast geklebt, an dem ich auf Grün warten muss, einfach, um mich zu erheitern und mir die Wartezeit zu verkürzen.
Du legst Stadtgärten an, verschönerst Dich an so mancher Ecke mit Guerilla-Aktionen oder Nachbarschaftsinitiativen und sie funktionieren.
Du versuchst dem Alltagstrott zu entkommen, nennst Deine Lokale „ein Sonntag im August“ oder „Süß war gestern“ oder „Zum Schmutzigen Hobby“, verkaufst Ohrringe aus einer Barbie gemacht oder machst aus hängenden Schuhen und Stiefeln einen Garten.
Du nimmst alles nicht so genau, Du musst Dich ja nicht wegen jeder Kleinigkeit aufregen. Unter einem Schwimmbad kann man inmitten der Wasseraufbereitungsanlagen auch noch super Party machen, wer braucht da schon Brandschutzvorschriften. Seinen Sperrmüll kann man ruhig auf der Straße stehen lassen, das nächste Café kann das abgeranzte Sofa ja noch brauchen.
Du bist so vielseitig und veränderst Dich ständig. Du sprichst so viele Sprachen und jede Straße hat ein neues Gesicht. Du lebst so viele Kulturen und das nebeneinander, bist laut und schrill und dann wieder entlegen und kleinbürgerlich.
Du bist Großstadt mit Heuballenrollen und Dorf mit Wolkenkratzern zugleich, Du mischt einfach alles wild durcheinander. Du bist verklemmt und weltoffen, Du bist von Vorgestern und voll im Trend.
Du bist voll verpeilt und kriegst nichts gebacken, du arbeitest nicht an Deinen Baustellen, bist chaotisch und zeigst Dich nur in der Bürokratie engstirnig und „typisch deutsch“.
Du hast keinen Humor und sagst stets Deine Meinung. Du regst Dich über die Deutsche Bahn auf, obwohl sie vermutlich die pünktlichste in Europa ist. Du streikst und demonstrierst gerne, denn da geht doch noch was.
Du trinkst Dein Frühstücksbier als Harz-IV-Empfänger , gründest 1000 Start-Ups und stampfst sie wieder in den Boden.
Du feierst viel und oft, wenn Du erstmal in die Clubs reingelassen wirst, erträgst die Partytouristen und die zugezogenen Hipster widerwillig.
Du bist heute eine Galerieeröffnung und morgen ein Underground-Club. Du bist eine Stadt voller Musik und Messen.
Du bist ein bemaltes Stück Mauer und kotzt viel zu oft und überall Deine Vergangenheit hoch. Du bist vereint und in den Köpfen noch immer getrennt. Du bist ein Tor, das nirgends hinführt und ein Turm, der alles überblickt.
Du bist viele selbstgemachte Kuchen und ein Sitzplatz in der Sonne. Du bist 4 Flughäfen und ein Stadtschloss aus Beton.
Ick liebe Dir, meine dicke Berta!